Dienstag, 28. Februar 2012

313. tag

Danke.
Danke, Papa, dass du mir die Angst vermittelt hast, durch ungesundes Essen krank zu werden. Dass ich gelernt habe, dass ein bisschen Speck ein sicherer Vorlauefer von Diabetes ist. Dass ich erleben musste, wie du deine eigene Art der Magersucht entwickelt hast.
Danke, an Aerzte, die vor 30 Jahren meinen Eltern beigebracht haben, ihre Kinder mager zu halten, um sie zu schuetzen, versteht sich.
Danke, Mama, vor allem. Dafuer, dass du mir schon klein erklaert hast, man solle sich immer Muehe geben, weil das, was andere von mir denken, so wichtig ist. Dass du mir meine erste Cellulitis-Creme gekauf hast, als ich gerade mal 14 war. Dass du mir weiterhin erklaert hast, dass, wenn man es einmal mit 13 hat, man es nie wieder los wird. Dass du mich davor gewarnt hast, mit 40 zu dick zu sein und deshalb den Ehemann zu verlieren. Dass du mir ein voellig absurdes Bild von Liebe und Selbstliebe vermittelt hast. Von Selbstvertrauen ist gar nicht mal die Rede wert.
Danke an die restlichen Frauen der Familie, die alle falsch sind. Die eine hat nicht mal ihrer Tochter erzaehlt, dass sie fast an Bulimie gestorben waere. Die andere ist so moralisch einwandfrei, dass ihre eigene Tochter nicht mehr mit ihr reden kann.
Danke an meine Klassenkameraden, die grosses Vergnuegen darin fanden, mir meinen Rest Selbstvertrauen wegzunehmen. Keinen Platz fuer meine Persoenlichkeit gelassen haben, sondern mich immer in die Rolle der Streberin geschubst haben, die nur klassische Musik hoert und mit 12 noch keine Tangas traegt. Besonderen Dank an die Jungs, die kein Interesse gezeigt haben, weil meine Brueste unterentwickelt waren.

Danke an meine besten Freundinnen, weil ihr immer fuer mich da seid. Weil ich es euch eines Tages erzaehlen werde, was ich alles ueberstanden habe. Und, weil ich weiss, dass ihr mich deshalb nicht ignorieren werdet.
Danke an meinen Bruder und seine Familie, die durch mein Spielchen gesehen haben und offen mit mir geredet haben. Ihr bleibt eine Motivation fuer mich, weiter zu kaempfen.
Danke an meine Mama. Diesmal, weil du meine vielen Nervenzusammenbrueche ausgehalten hast. Weil du in mir die Lust erweckt hast, etwas gutes aus mir zu machen. Weil du Kilometer mit mir zum Psychiater gefahren bist. Weil du trotz allem an meine Genesung glaubst.
Danke an meinen Freund. Weil ich gelernt habe, dass ich geliebt werden kann, so wie ich bin. Du bringst mir tagtaeglich bei, was bei Menschen wirklich wichtig ist. Und glaubst auch an meine Genesung. Danke, dass du die Bulimie voellig vergisst, weil sie fuer dich nicht zu mir gehoert. Du hast mir bewiesen, dass auch ich attraktiv sein kann. Und du haelst mich aus, Respekt.

Danke. Ich werde mit und gegen euch alles ueberstehen.


Montag, 27. Februar 2012

312. tag

Am Samstag wieder zwei mal gefressen und erbrochen. Am Sonntag zwei mal gefressen, aber nicht erbrochen.
Mir faellt es unheimlich schwer, mein Leben wieder so zu gestalten, wie es vor meinem Rueckfall war. Ich schaffe es nicht mehr zum Sport, weil ich lieber zuhause meiner Bulimie freien Lauf gebe. Und meine Freunde vernachlaessige ich auch ein bisschen.
Ich weiss zur Zeit nicht mehr, was ich vom Leben erwarte. Alles laueft mehr oder weniger gut: Uni bringt ziemlich gute Noten, Freund ist immernoch mit mir zusammen, sonst bin ich auch gesund. Nur kommen immer wieder Zweifel, ob es das richtige Studium ist, der richtige Freund?
Mein Selbstvertrauen versteckt sich irgendwo im Keller. Ich habe Angst, meine Meinung offen zu sagen, weil ich nicht zusaetzlich Konflikte meistern will. Ich streite weniger mit meinem Freund. Warum? Anstatt ihn direkt zu konfrontieren, oder die Sachen einfach locker zu sein, loesche ich meine Wut durch Essen aus. Er sieht mal wieder aus wie ein Penner mit seinen Gammelklamotten, obwohl ich eine Stunde im Bad verbracht habe, um mich schoen zu machen? Keine Meinung, kein Stress, ich renne aus dem Haus zum naechsten Supermarkt und fresse. Und kotze.
Manchmal denke ich, dass ich besseres verdient habe. Und dann faellt mir ein, dass ich zwei Tage davor zusammengebrochen bin, aus guten Gruende, natuerlich. Und, dass er sich eine Stunde lang um mich gekuemmert hat. Ein echter Teufelskreis.
Das schlimmste an Bulimie ist fuer mich diese Art Betauebung. Ich denke nicht mehr wirklich klar, sondern das Fressen-Kotzen steht bei mir im Mittelpunkt und meine Gedanken kreisen darum.

Donnerstag, 23. Februar 2012

308. tag

Ich moechte nur noch schreien, sehr laut. Und danach schlafen, sehr lange.
Warum muss ich mir das Leben noch schwieriger machen, als es schon ist? Warum bin ich immer wieder so schwach? Wann nimmt das endgueltig ein Ende? Wann werde ich wieder eine normale Kalorien-Bilanz haben?
Montag habe ich es wieder getan. Habe mich auch fast dazu gezwungen: es mag voellig bescheuert klingen, aber ja, manchmal koennte ich es auch ohne Essanfall aushalten, aber ich finde immer einen "guten" Grund, einzukaufen und zu fressen. Ich habe an dem Tag dreimal gegessen und erbrochen, so sehr, dass mein Magen am Ende weh tan. Der Grund? Ich hatte am Vortag soviel gegessen, also sollte ich lieber sehr viel essen und alles auskotzen, als mich auszuhungern.
Dienstag fing das wieder an. Aber erst spaet nachmittags, davor hatte ich gar nicht das Beduerfniss danach. Aber erbrochen habe ich nicht. Umso doofer, weil ich danach bei einem Freund essen war... Also immer enger die Hose.
Gestern alles super. Verliebt, in der Sonne spazieren gegangen, mein Koerper gepflegt. Alles positiv, bis abends. Dann hatte ich zum zigtausendstenmal Streit. Alles ziemlich gelassen genommen, habe auch nichts geplant in Richtung Essanfall.
Heute morgen auch nicht, mittags normal gegessen. Und dann kam die Panik: will ich mein Leben wirklich so, wie es zur Zeit ist. Trotzdem bin ich sehr klar im Kopf geblieben, nein, ich wollte mich nicht vollessen. Vor allem nicht, weil ich beschlossen habe zu fasten. Auf Zucker, Alkohol und Essanfaelle (das letzte erwaehne ich aber nicht im Freundeskreis). Und immer mehr stieg in mir diese Angst und diese Lust, im Bett zu liegen und mich zu verkriechen. Dann kam der Kontrollverlust: zum Lidl gelaufen, meine Lieblings-Schokoriegel, Pudding, Berliner und Brot gekauft. Alles gegessen.
Und erst jetzt faellt mir auf, dass ich es auch ohne ausgehalten haette. Ich haette mich mit einem leckeren Tee in mein Bett verkriechen koennen und muesste mir jetzt keine Gedanken darueber machen, ob ich morgen in meine Hose passe.
Ich bin in solchen Situationen bin ich nur noch wuetend. Auf mich, weil ich langsam jeden Trick der Bulimie kenne, doch nicht ausweichen kann. Auf meine Beziehung, wie er und ich so weit gekommen sind. Auf alle, die mir das Leben bisher schwer gemacht haben und mir emotionale Stabilitaet und Selbstwertgefuehl weggenommen habe.
F***ing S**t

Sonntag, 19. Februar 2012

304. tag

Schon lange nicht mehr hier geschrieben... Schwer anzufangen.
Es geht bergauf und bergab... bis vor zwei Wochen war ich wieder voll drin. Das heisst, fast jeden Tag mindestens einen Essanfall mit Erbrechen. Dann auch ein paar Mal ohne. Also mehrere Kilogramm zusaetzlich auf der Waage.
Bis ich ins Praktikum in eine andere Stadt musste, mit Freunden. So eine Art Entzug... Sobald ich nie alleine war (ein Zimmer zu dritt) ging alles wieder gut. Ich habe auch selten an Essanfaelle gedacht. Dann zurueck in die Wohnung zum Wochenende und gleich drei Essanfaelle. Am letzten Tag habe ich mich auch morgens vollgefressen, aber nicht erbrochen. Und seitdem haelt es. Fazit: 7 Tage und dann 8 Tage am Stueck.